Stand: 08.08.2021 05:06 Uhr
Tino Chrupalla hat einen weiten Weg hinter sich: vom Malermeister zum AfD-Spitzenkandidaten. Im Bundestagswahlkampf muss er sich nun beweisen – auch in seiner Partei. Heute ist er im ARD-Sommerinterview.
Hochsommer, im Juli: Tino Chrupalla sitzt im Hemd und Jackett im Freibad im kleinen Ort Ostritz, direkt an der polnischen Grenze. Neben ihm die anderen Bewerber um das Direktmandat im Wahlkreis Görlitz. In seinem Rücken das Schwimmbecken. Vor ihm ein paar Dutzend Bürger, die den Bewerbern Fragen stellen können.
Ein klassischer Wahlkampftermin – einer, bei dem sich Chrupalla sichtlich wohl fühlt. Hier ist er zu Hause, hier kennt man ihn: den Malermeister, der bei der vergangenen Bundestagswahl Michael Kretschmer, mittlerweile Ministerpräsident in Sachsen, den Sitz im Bundestag abgejagt hat.
CDU schickt Kandidat Oest ins Rennen
Nun ist es an Chrupalla, das Direktmandat im September zu verteidigen. Die CDU schickt Florian Oest ins Rennen: Anfang 30, Familienvater, in Görlitz geboren. Er hat Rechtswissenschaft und BWL studiert, ist redegewandt, charismatisch und angriffslustig. Bei der Diskussionsrunde in Ostritz geht er Chrupalla immer wieder an, er solle es konkret machen: Was habe Chrupalla für die Region in den vergangenen Jahren im Bundestag erreicht?
Chrupalla flüchtet sich in die Opferrolle. Als Opposition habe man wenig Spielraum. An dem Abend sind die Lacher mal auf Oests, Applaus mal auf Chrupallas Seite. Die anderen Bewerber spielen kaum eine Rolle. Es läuft auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinaus.
Anzugträger im 7er-BMW
Chrupalla will aber offenbar kein Risiko eingehen, den prestigeträchtigen Sitz im Bundestag zu verlieren. Er hat sich auf den ersten Platz der sächsischen AfD-Landesliste wählen lassen. Sein erneuter Einzug in den Bundestag ist damit so gut wie sicher. Ihn würde es dennoch empfindlich treffen, sollte er seinen Wahlkreis verlieren. Denn Chrupalla muss sich auch innerhalb seiner Partei beweisen. Im heftig geführten Machtkampf der AfD wird jede Schwäche genutzt.
Lange Zeit lief es für ihn rund: Erst 2015 in die AfD eingetreten, dann der Erfolg gegen Kretschmer und wenig später sogar Parteivorsitzender. Doch nicht wenige in der AfD glauben bis heute, dass Chrupalla mit seiner Rolle überfordert ist. Insbesondere in seinen ersten Monaten als Parteichef sah er in öffentlichen Auftritten nicht gut aus, vor allem im Vergleich zu Co-Parteichef Meuthen, der es als Professor gewohnt war, vor großem Publikum zu sprechen. Einige Medientrainings später tourt Chrupalla als Spitzenkandidat durch die Bundesrepublik.
Er hat sich gewandelt: vom Malermeister zum Anzugträger, der in einem 7er-BMW chauffiert wird. In der Partei, deren Credo es ist, den einfachen Bürgern besonders nah sein zu wollen, sorgt das allerdings für teils hämische Kommentare.
Anpacker mit offenen Baustellen
Auch Chrupallas Agieren im Wahlkampf wirft Fragen auf. Was sei denn jetzt das Thema, mit dem die AfD punkten will? Von Orientierungslosigkeit ist im Umfeld der Bundestagsfraktion immer wieder die Rede. Man erwarte von den Spitzenkandidaten Chrupalla und Alice Weidel ein Aufbruchssignal. Auch wenn die AfD Umfrageergebnisse häufig anzweifelt, wird sie wahrgenommen haben: Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Partei vier Prozentpunkte verloren.
Handwerker Chrupalla, der sich gern als anpackend inszeniert, hat zahlreiche offene Baustellen. Der innerparteiliche Machtkampf eskaliert weiter. Chrupalla, der vergangenen Sommer noch angekündigt hatte, vermitteln zu wollen, steht für viele in der Partei mittlerweile an der Seite der Extremen. Auch die Beobachtung des Bundesverfassungsschutzes konnte die Parteiführung nicht abwenden. Sie ist zwar zunächst per Klage von der AfD gestoppt. Ein endgültiges Urteil steht immer noch aus.
In radikalem Partei-Umfeld politisch groß geworden
Chrupallas Landesverband ist schon als Verdachtsfall beim Verfassungsschutz eingestuft. So stehen auf der sächsischen Landesliste zu Bundestagswahl fast ausschließlich Kandidaten, die dem offiziell aufgelösten, rechtsextremen Flügel nah sind. Siegbert Dröse zum Beispiel, Platz drei der Liste, posierte für ein Foto mit Hand auf dem Herz vor der Wolfsschanze. Oder Andreas Harlaß, Platz fünf, der sogar per Gerichtsurteil als Neonazi bezeichnet werden darf.
Eine öffentliche Distanzierung von diesen Kandidaten kam von Chrupalla bisher nicht. In diesem radikalem Partei-Umfeld ist er politisch groß geworden. Auf die Unterstützung seiner Parteifreunde im Osten ist Chrupalla angewiesen. Denn nach der Bundestagswahl wartet bereits die nächste Herausforderung: Auf dem Parteitag Ende des Jahres wird die Parteispitze neu gewählt.
Matthias Deiß, stellvertretender Studioleiter des ARD-Hauptstadtstudios, befragt den AfD-Spitzenkandidaten Chrupalla im ARD-Sommerinterview im Bericht aus Berlin, das Das Erste heute um 18:05 Uhr ausstrahlt. Im Online-Format „Frag selbst!“ ab circa 16:00 Uhr können Userinnen und User ihre Fragen an Chrupalla im Netz stellen.
Die Fragen können Sie auf den Kanälen von tagesschau und Bericht aus Berlin bei Facebook, Twitter (#fragselbst) und YouTube sowie per E-Mail an frag-selbst@tagesschau.de stellen. Die Antworten gibt es im Livestream auf den Social Media-Kanälen von tagesschau und Bericht aus Berlin sowie auf tagesschau.de und tagesschau24.
von Tagesschau