Weiterhin starten US-Militärmaschinen vom Flughafen in Kabul aus. Tausende Menschen hoffen noch auf Ausreise. Aber die Gefahr vor Ort ist groß – weitere Anschläge drohen und E-Mails mit falschen Evakuierungsaufrufen sind im Umlauf.

Von Peter Hornung, ARD-Studio Neu-Delhi

Noch immer ist Flugbetrieb auf dem Kabuler Airport. Doch es sind fast ausschließlich US-Maschinen, die hier stehen. 5000 Menschen warten auf dem Flughafengelände noch auf ihre Ausreise. Mit den grauen Boeing-Militärtransportern vom Typ Globemaster sollen sie ausgeflogen werden. 4000 US-Soldaten, so heißt es aus dem Pentagon, seien noch da, um die letzten Evakuierungen zu schützen.

Peter Hornung ARD-Studio Neu-Delhi

Die Zufahrt zum Flughafen ist gesperrt, hier stehen Taliban mit großen Humwee-Panzerfahrzeugen, die sie von der afghanischen Armee erbeutet haben. Manche der Kämpfer tragen Helme, andere weiße Schildkappen mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis.

Viele kommen ohne Pass

Allaudin, ein Passant, sieht die Evakuierungen kritisch. „Was Amerika getan hat, hat viel Chaos verursacht“, sagt er einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters, „und deshalb ist diese Zufahrt nun geschlossen.“ Die USA hätten etwas tun sollen, damit die Leute leichter aus dem Land kommen, beklagt Allaudin weiter. Das Problem hier seien ja diejenigen gewesen, die keine Pässe hatten und trotzdem hergekommen seien.

Tatsächlich waren die Zugänge zum Flughafen vor allem deshalb so überfüllt, weil aus ganz Afghanistan Menschen gekommen waren, die kaum Aussichten auf eine Evakuierung hatten. Sie hatten nie für die NATO oder ausländische Hilfsorganisationen gearbeitet, wollten es aber trotzdem probieren.

E-Mails mit falschen Visa

Doch es gingen vor dem verheerenden Selbstmordanschlag auch falsche E-Mails um, in denen es hieß, man solle zum Flughafen kommen – zum Abbey Gate, genau dahin, wo der Sprengsatz explodierte. Die Absender gaben sich als US-Diplomaten aus, ein buntes Pseudo-Visum zum Ausdrucken hing der Mail an. Es ist unklar, wie viele darauf hereinfielen.

Die Taliban bemühen sich derzeit, die Ausreisewilligen zu beschwichtigen. Sher Mohammad Abbas Stanikzai, ein hoher Talibanvertreter, wandte sich in einer dreiviertelstündigen Fernsehansprache auch an die, die weggehen wollen. Sie könnten dies „in Würde und in aller Seelenruhe tun“, so Stanikzai, „wenn sie nach der Wiederaufnahme des kommerziellen Flugverkehrs über gültige Dokumente wie Pässe und Visa verfügen“.

Das hatten die Taliban in den vergangenen Tagen immer wieder gesagt – doch selbst nach dem Selbstmordanschlag kamen wieder Menschen zu den Flughafentoren, wenn auch deutlich weniger. Bilal Sarwary, ein bekannter afghanischer Journalist, hat bei dem Anschlag Freunde verloren.

Drei meiner Freunde waren mit ihren eigenen Familien dort. Wir unterhielten uns miteinander. Sie erklärten mir, wie schwierig es war, außerhalb des Flughafens in diesem Abwasserkanal zu warten, als die Explosion stattfand. Sie sind also auf sehr tragische Weise ums Leben gekommen. Drei Freunde und ihre Familien.

Warnungen vor neuen Anschlägen

Gestern Nachmittag machte das Pentagon genauere Angaben zum Vergeltungsschlag mit einer Drohne. Nicht einer, sondern zwei IS-Terroristen seien ums Leben gekommen, ein weiterer sei verletzt worden. Die mit dem IS verfeindeten Taliban reagierten auf den Angriff in der Provinz Nangahar erst sehr spät und vergleichsweise milde.

Unterdessen gibt es seit dem frühen Morgen wieder konkrete Anschlagwarnungen. Die US-Botschaft in Kabul nannte mehrere Flughafentore und Orte in der Nähe des Flughafens. Von dort solle man sich unbedingt fernhalten, die Gefahr sei groß.

 

von Tagesschau