Auf einer Pressekonferenz kritisierte Lauterbach am Dienstag den bayerischen Ministerpräsidenten Söder. Dieser hatte angekündigt, den Vollzug der Impfpflicht im Gesundheitssektor in Bayern auszusetzen. Für Lauterbach ist „Corona“ zudem auch nach der Omikron-Variante längst nicht ausgestanden.

Zuletzt wechselte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder als ehemaliger Kopf im „Team Vorsicht“ in das neue und womöglich vielversprechende „Team Öffnung“. Was die Corona-Politik in seinem Freistaat anbelangt, versprach er zuletzt einen „Einstieg in den Ausstieg“. Etliche Maßnahmen sollen dort gelockert werden.

Ferner werde der Vollzug der Impfpflicht im Gesundheitssektor  „de facto“ zunächst ausgesetzt werden, teilte Söder mit.

"Einstieg in den Ausstieg" – Söder prescht mit Corona-Lockerungen vor und will Impfpflicht aussetzen

Das rief nun auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken auf den Plan. Söder verspiele gerade in Pandemiezeiten wichtiges Vertrauen: „Verweigern sich Markus Söder und Friedrich Merz diesem Vorhaben in Gänze, so hintergehen sie ein Gesetz, dem beide selbst zugestimmt haben. CDU und CSU verspielen damit das Vertrauen in Politik, das gerade in Pandemiezeiten besonders wichtig ist.“

Widerspruch erfuhr der CSU-Chef auch vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Ihm sei zudem zu Ohren gekommen, so der SPD-Politiker, dass aus Teilen der Union Rufe laut würden, die „einrichtungsbezogene Impfpflicht nochmal zu überdenken, oder möglicherweise zurückzunehmen“. „Das halte ich für sehr problematisch“, teilte Lauterbach am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem RKI-Chef Lothar Wieler in Berlin mit.

„Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist keine Schikane gegen das Personal, welches in diesen Einrichtungen arbeitet. Darum geht es nicht. Sondern uns geht es um den Schutz der dort den Mitarbeitern anvertrauten Menschen.“

Indirekt warf Lauterbach dem bayerischen Ministerpräsidenten vor, sich bei den Menschen anzubiedern, die auf der Straße gegen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht protestierten. Er gebe das Signal, „als wenn uns der Protest gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht wichtiger wäre, (…) als uns der Schutz dieser Menschen bedeutsam ist“.

Die Frage nach einer möglichen sogenannten Anwendungsverordnung für das ausscherende Bundesland Bayern beantwortet Lauterbach ausweichend:

„Das Gesetz gilt ja. Wir werden natürlich weiterhin mit der Gesundheitsministerkonferenz und auch mit einzelnen Ländern an Instrumenten arbeiten, womit wir die Umsetzung unterstützen können.“

Es müsse jedoch auch „wirklich ein Wille da sein, das Gesetz auch durchzusetzen“, so der Bundesgesundheitsminister weiter. In diesem Zusammenhang warne er davor, die von der Omikron-Variante ausgehende Gefahr zu unterschätzen. Dies käme einer „Fehleinschätzung der Omikron-Variante“ gleich. Ein Durchsetzungsinstrument des Bundes gegenüber den Ländern gebe es jedoch nicht, räumt Lauterbach ein: „Der Vollzug ist Länderaufgabe.“

Karl Lauterbach: Ich habe meine Liebsten selbst geimpft

Der Bund könne Hilfestellung anbieten, etwa mit Musterbenachrichtigungen für Gesundheitsämter, mit denen diese die betroffenen Beschäftigten anschreiben könnten. Enttäuscht zeigte sich Lauterbach allerdings von den fehlenden Anfragen – was nur einen Schluss zuließe: „Wir können mit allem helfen. Aber ganz konkrete Anfragen habe ich weder aus Bayern noch von der CDU gesehen. Es ist offensichtlich so, dass man sich hier von dem Gesetz verabschieden will.“ Und das sei ganz ohne Frage falsch. Außerdem – so Lauterbach – sei in dem Gesetz keine Frist für den Vollzug der spezifischen Impfpflicht vorgegeben.

Der SPD-Politiker und Mediziner nannte es für die Politik insgesamt problematisch, wenn Gesetze von Ministerpräsidenten nicht umgesetzt würden. Das sei eine Botschaft, die schwer zu vermitteln sei. Er hoffe, dass man zu einer Lösung komme.

Ferner warnte Lauterbach erneut vor einer schnellen Aufhebung von Maßnahmen, da die Lage „noch nicht wirklich unter der Kontrolle“ sei. Dabei verwies der Gesundheitsminister auf eine im europäischen Vergleich „sehr alte Bevölkerung“ in Deutschland. Zudem sei die Zahl der Ungeimpften unter der älteren Bevölkerung „im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich höher“. „Die Dunkelziffer der Genesenen mit eingerechnet“, müsse davon ausgegangen werden – so ist sich Lauterbach sicher –, „dass wir in Deutschland eine drei- bis viermal so hohe Zahl von Ungeimpften bei den besonders gefährdeten älteren Menschen haben. Von daher sind wir noch immer gefährdet“.

„Breite Lockerungen, wie sie derzeit diskutiert werden“, seien daher „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht zu vertreten. Die Diskussion darüber sei fehl am Platz, denn schnelle Öffnungen könnten die Welle deutlich verlängern:

„Wir haben jeden Tag zwischen hundert und … also … hundertfünfzig Tote zu beklagen. Viel zu viel.“

Zuvor hatte Lauterbach bereits mitgeteilt, es sei geradezu „verrückt„, bei Höchstzahlen von Infizierten und einer funktionierenden Strategie die Corona-Maßnahmen zu lockern. Dabei warnte er vor dem vermeintlichen Negativbeispiel Großbritannien und nannte auch bei dieser Gelegenheit etwas andere Zahlen. „Was wäre in Deutschland, wenn wir vorgehen würden wie in England? Dann hätten wir pro Tag über den Daumen gepeilt vielleicht 300 Tote. Wir haben aber deutlich weniger, nämlich 60 bis 80“.

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Am Dienstag bekräftigte Lauterbach aber seine Einschätzung, dass es zumindest mittelfristig Lockerungen geben könne: „Wir werden natürlich deutlich vor Ostern öffnen können.“

Rückschlüsse für das Thema der allgemeinen Impfpflicht lassen sich laut Lauterbach aus der aktuellen Debatte um die einrichtungsbezogene Verpflichtung zur COVID-Impfung nicht ziehen. Für die allgemeine Impfpflicht erwarte er noch im Laufe dieser Woche „ganz konkrete Gesetzentwürfe“:

„Von daher glaube ich nach wie vor, dass wir das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, schaffen können, (…) so dass wir einen Rückfall mit anderen Varianten oder Omikron im Herbst durch die allgemeine Impfpflicht verhindern.“

Die Hoffnung, dass nach Omikron „alles vorbei“ sein werde, halte er für vollkommen abwegig, so der SPD-Politiker. „Das ist eine Sicht der Dinge, die für einen Laien komplett statthaft ist“, aber:

„Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass neue Varianten immer harmloser sind als die Varianten, die es gab. Dafür gibt es überhaupt keinen virologisch-epidemiologischen Grund.“

Der Laie könne sich das zwar nicht vorstellen, so der Gesundheitsökonom Lauterbach, doch die Varianten kämen „aus der Ursprungsvariante und werden immer noch von dort weggeschossen. Und viele von diesen Varianten mit denen wir es möglicherweise noch zu tun bekommen, die gibt es bereits“. Zu guter Letzt räumt Lauterbach noch mit einem aus seiner Sicht bestehenden Wunschdenken auf:

„Die Theorie, die immer vorgetragen wird: Das ist beim Virus so, dass es zuerst ein paar gefährliche Varianten sind, und dann fängt es an harmloser zu werden, und irgendwann ist es dann so harmlos, dass es in einen Erkältungsvirus übergeht.“

Diese Annahme sei leider „zu schön, um wahr zu sein“, und habe „wenig Fundament“.

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Quelle: RT DE