
Bei der aktuellen Gaskrise geht es nicht um die angebliche Abhängigkeit von russischem Gas, sondern nur darum, russisches Gas zu Gunsten von amerikanischem Frackinggas aus Europa zu verdrängen. Das zeigt ein Spiegel-Artikel unfreiwillig deutlich auf.
Bei dem Streit um Nord Stream 2, der seit Jahren die Schlagzeilen beherrscht, geht es nicht um die Sorge der USA oder der EU um Europas Energiesicherheit oder die angebliche Abhängigkeit von russischem Gas, wie Medien und Politik behaupten. Vielmehr geht es darum, dass die US-Frackinggas-Konzern den europäischen Markt erobern wollen. Das können sie jedoch nicht auf „ehrliche“ Weise, also durch faire Konkurrenz, erreichen, denn die Förderung von Frackinggas ist teurer, als die „normale“ Förderung von Erdgas in Russland. Außerdem ist auch der Transport von Flüssiggas aus den USA mit speziellen Tanker teurer, als das russische Gas durch Pipelines nach Europa zu pumpen.
Aus diesem Grund haben die USA Widerstand gegen Nord Stream 2 geleistet und Sanktionen verhängt. Sie müssen das russische Gas vom europäischen Markt verdrängen, denn nur dann kaufen europäische Importeure freiwillig das teurere amerikanische Gas, denn eines ist unbestritten: Europa wird – egal, was die Klimaideologen behaupten – noch auf Jahrzehnte Erdgas benötigen, und zwar aufgrund der Energiewende sogar mehr Gas als heute. Hinzu kommt, dass die europäischen Gasfelder in Holland und der Nordsee sich ihrem Ende zuneigen und deren Förderungen rückläufig sind.
Der Spiegel hat am 9. Februar unter der Überschrift „Flüssiggas für Europa – So profitiert die US-Wirtschaft vom Kampf um die Ukraine“ einen Artikel über das Thema veröffentlicht, den wir uns anschauen wollen, weil er zwischen den Zeilen ungewöhnlich ehrlich gewesen ist.
Der Rückblick
Was den Spiegel-Artikel so (unfreiwillig) ehrlich macht, ist sein Rückblick, denn er beginnt damit, wie Trump Druck auf die EU aufgebaut hat, russisches Gas durch amerikanisches Frackinggas zu ersetzen, was in der EU damals wenig Begeisterung ausgelöst hat:
„Damals wollten viele Europäer mit dem amerikanischen Präsidenten möglichst wenig zu tun haben. Als Trump den Deutschen riet, sich durch transatlantische Gasimporte aus der »Gefangenschaft« von Russland zu befreien, reagierten sowohl die Bundesregierung als auch die EU pikiert. Es war offensichtlich, dass sich Trump wenig für Geopolitik, dafür aber umso mehr für die Exportbilanz seines Landes interessierte. Russisches Gas sei erheblich billiger, rechnete ein EU-Vertreter damals im »Wall Street Journal« vor und wetterte anonym: »Trumps Strategie scheint zu sein, uns zum Kauf ihres teureren Gases zu zwingen. Aber solange LNG nicht wettbewerbsfähig ist, wird Europa sich nicht auf irgendeine Abzocke einlassen und Erpresserpreise zahlen.«“
Das ist erstaunlich ehrlich und daran hat sich bis heute nichts geändert, außer, dass der US-Präsident heute nicht mehr Trump, sondern Biden heißt. Das US-Gas ist immer noch teurer, als das russische Gas und die USA wollen die EU-Staaten immer noch „zum Kauf ihres teureren Gases zwingen.“
Das jedoch schreibt der Spiegel nicht, vielmehr macht er eine geschickte Wendung und fährt fort:
„Heute wäre Deutschland wohl froh, wenn es ein LNG-Terminal hätte. Obwohl es mehr Erdgas verbraucht als jeder andere EU-Staat, ist es noch immer darauf angewiesen, dass die Gasschiffe in den Nachbarländern anlegen können.“
Die Unwahrheit über die hohen Gaspreise
Der Spiegel schreibt weiter:
„Der neu erwachte globale Energiehunger nach der pandemiebedingten Flaute und die Russlandkrise haben die Preise hochgejagt. Gas ist von einem im Überfluss vorhandenen Produkt zur Mangelware mutiert.“
Das allerdings ist – zumindest für die EU – nicht wahr. Bevor der vorherige EU-Kommission den europäischen Gasmarkt reformiert hat, war die EU beim Gaspreis vollkommen unabhängig von den Preise für Gas an den weltweiten Börsen. Damals hat die EU Gas aus Russland im Rahmen langfristiger Verträge importiert und der Gaspreis wurde aus einem mittelfristigen Durchschnittspreis für diverse Rohölprodukte errechnet. Das hat starke Preisschwankungen verhindert, was dem Verkäufer (Russland) und dem Käufer (der EU) Planungssicherheit gegeben hat. Außerdem war der Gaspreis in Europa damit vollkommen unabhängig von den Launen der Börsenspekulanten.
Erst nachdem die EU-Kommission den Börsenhandel von Gas in der EU freigegeben und gegen langfristige Verträge eingetreten ist, wurde der Gaspreis in der EU volatil und heute sehen wir das Ergebnis an den Gaspreisen deutlich. Anstatt stabiler und recht niedriger Preise haben wir in der EU plötzlich stark schwankende Gaspreise, die explodiert sind, weil es sich für die Importeure, die russisches Gas noch über langfristige Verträge importieren, lohnt, wenn zu wenig Gas im Markt ist. Sie importieren das russische Gas für weniger als 300 Dollar und können es für über 1.000 Dollar an der Börse weiterverkaufen. Das ist leicht verdientes Geld und die Rechnung zahlen die Verbraucher.
Und Mangelware müsste (russisches) Gas in Europa auch nicht sein, denn niemand bestreitet, dass Russland alle seine Lieferverpflichtungen erfüllt. Russland bietet der EU laufend an, neue langfristige Verträge zu schließen, aber es ist nicht Russlands Schuld, wenn die EU-Staaten das nicht tun, sondern lieber auf „flexible“ Verträge setzen. In Europa gäbe keinen Gasmangel, wenn es ausreichend langfristige Lieferverträge abgeschlossen hätte.
Das Problem ist also von Brüssel hausgemacht, aber das verschweigen die „Qualitätsmedien“ immer, wenn sie über das Thema Gas berichten.
Es geht nur um US-Frackinggas
Umso interessanter ist folgendes Zitat in dem Spiegel-Artikel:
„Der russische Anbieter Gazprom habe recht mit seiner Kritik, dass Europa sich zu sehr auf den kurzfristigen Spotmarkt mit seinen schwankenden Preisen verlasse, sagte der Chef des Lobbyverbandes LNG Allies, Fred Hutchison, dem Branchendienst Argus Media. Die Lösung sei jedoch nicht, langfristige Verträge mit Russland zu unterzeichnen, sondern »langfristige Verträge mit anderen Vertragsparteien«, fügte er hinzu: »Und wir haben eine ganze Reihe solcher Parteien mit fertigen Projekten in den USA.«“
Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn die EU-Kommission demnächst ihre „Lehren“ aus der Gaskrise zieht und wieder zu langfristigen Verträgen, nur eben mit US-Anbietern, raten würde. Das Ergebnis wäre, dass die Verbraucher in der EU mehr für Gas zahlen würden, als sie müssten, weil langfristige Verträge mit Gazprom das Gas günstiger liefern können als die US-Anbieter. Sollte die EU-Kommission demnächst umschwenken und auf langfristige Verträge mit US-Anbietern setzen, gleichzeitig aber gegen langfristige Verträge mit Gazprom und gegen Nord Stream 2 sein, dann wäre offensichtlich, was man ohnehin schon vermuten kann: Die EU-Kommission handelt nicht nach wirtschaftlicher Vernunft und rationalen Motiven, sondern nur aus politischen Motiven. Die Rechnung würden die Verbraucher bezahlen.
Die Energiesicherheit
Russland (und vorher die Sowjetunion) liefert seit fast 50 Jahren zuverlässig Gas. Es gab niemals, auch nicht während der schlimmsten Krisen des Kalten Krieges, irgendwelche Probleme mit den russischen Lieferungen. Russland sieht Gas nicht als Mittel der Politik, sondern als Geschäft an: Wer seine Rechnungen bezahlt, der bekommt Gas, egal wie sehr man bei anderen Themen gerade zerstritten sein mag.
Die Gegner Russlands werfen Russland trotzdem vor, Gas als politisches Druckmittel zu nutzen. Das Problem dabei ist, dass es dafür kein einziges Beispiel gibt. Im Gegenteil, denn alle Beispiele, die angeführt werden, zeigen das Gegenteil. Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder Probleme mit Gaslieferungen an und über die Ukraine, aber daran war nicht Russland schuld. Die Ukraine hatte ihre Rechnungen teilweise über sechs Monate lang nicht bezahlt und erst dann hat Russland den Gashahn zugedreht, bis die Rechnungen bezahlt waren. Eine Chronologie der Gaskonflikte der Vergangenheit finden Sie hier.
Ob allerdings die USA auch so ein zuverlässiger Lieferant sein würden, wie Russland, darf man bezweifeln. Die USA nutzen alles als politisches Druckmittel, was sich dazu nutzen lässt. Sie schrecken dabei nicht einmal vor Sanktionen gegen ihre angeblichen „Verbündeten und Freunde“ in Europa zurück, wie das Beispiel Nord Stream 2 zeigt.
Was wäre wohl, wenn der Marktanteil amerikanischen Gases in der EU so groß wird, dass man ihn nicht mehr kurzfristig ersetzen könnte? Würden die USA dann davor zurückschrecken, ihren „Verbündeten und Freunden“ in Europa bei einem politischen Streit mit einer Reduzierung der Gaslieferungen zu drohen?
Es gibt übrigens noch einen anderen wichtigen Unterschied zwischen russischem Pipeline-Gas und amerikanischem Flüssiggas, das mit Tankern transportiert wird: Im Falle eines Streites kann man die Tanker zu anderen Abnehmern schicken, eine Pipeline kann man hingegen nicht woanders hin umleiten. Selbst wenn Russland sich mit der EU vollkommen zerstreitet, kann es sein Gas nicht einfach anderen Abnehmern anbieten, sogar dann nicht, wenn es das tun wollte. Die USA können das hingegen problemlos tun.
Wer ist also der sicherere Partner für die Energiesicherheit Europas?
Die Gründe für die Energiekrise in Europa
Über die Gründe für die Energiekrise in Europa habe ich oft berichtet, daher fasse ich sie hier der Vollständigkeit halber nur noch einmal kurz zusammen.
Erstens: Der letzte Winter war kalt, weshalb viel Gas verbraucht wurde. Pipelines und Tanker reichen nicht aus, um im Winter genug Gas nach Europa zu bringen, weshalb die Gasspeicher normalerweise im Sommer aufgefüllt werden. Das ist in diesem Jahr ausgeblieben und während die Gasspeicher normalerweise zu Beginn der Heizsaison zu fast 100 Prozent gefüllt sind, waren es in diesem Jahr nur knapp 75 Prozent.
Zweitens: Die Energiewende hat zu einem zu großen Anteil von Windenergie am Strommix geführt. Da der letzte Sommer aber außergewöhnlich windstill war, fehlte die Windkraft und es wurde unter anderem Gas zur Stromerzeugung genutzt, das eigentlich in die Speicher hätte geleitet werden müssen.
Drittens: Der Wunsch vieler europäischer Politiker, russisches Gas durch vor allem amerikanisches Flüssiggas zu ersetzen, hat dazu geführt, dass in Europa nun Gas fehlt. Der Grund: In Asien sind die Gaspreise noch höher als in Europa und die fest eingeplanten amerikanischen Tanker fahren nach Asien, anstatt nach Europa.
Viertens: Die Reform des Gasmarktes der letzten EU-Kommission hat den Handel mit Gas an den Börsen freigegeben. Dadurch wurde Gas zu einem Spekulationsobjekt. Während Gazprom sein Gas gemäß langfristiger Verträge für 230 bis 300 Dollar nach Europa liefert, ist es für die Importeure ein gutes Geschäft, das Gas an der Börse für 1.000 Euro weiterzuverkaufen und diese Spekulationsgewinne in Höhe von mehreren hundert Prozent in die eigene Tasche zu stecken.
Warum Gazprom trotzdem langfristige Verträge möchte? Die Antwort ist einfach, denn das war auch in Europa so, als in Europa noch Gasfelder erschlossen wurden. Der Produzent von Gas muss Milliardeninvestitionen planen und das geht nur, wenn er weiß, wie viel Gas er langfristig zu welchem Preis verkaufen kann. Daher möchte ein Gasproduzent langfristige Verträge, auch wenn der Preis zeitweise möglicherweise viel niedriger ist als der, den er an der Börse erzielen könnte.
Auch für den Kunden ist es von Vorteil, wenn er die Gaspreise und die Gasmengen im Voraus planen kann, denn was passiert, wenn man sich auf kurzfristige Verträge einlässt, erleben wir gerade in Europa. Dass die EU-Kommission sich trotzdem für kurzfristige Verträge und Börsenhandel von Gas einsetzt, ist entweder Inkompetenz, oder der Wunsch europäischen Konzernen die lukrative Börsenspekulation mit Gas auf Kosten der Verbraucher zu ermöglichen, oder die politische Abhängigkeit von den USA, die auf kurzfristige Verträge setzen, weil ihrer schnelllebigen Frackingindustrie schnelle Gewinne wichtiger sind als langfristige Planungssicherheit.
Quelle: Anti-Spiegel